Geduld.
Gedanken zum Jahresende.
Nahezu alles war VER-RÜCKT in diesem Jahr. Nichts scheint mehr auf seinem Platz. Vermeintliche Sicherheiten, liebgewonnene Gewohnheiten, selbstverständliche Freiheiten - einfach weggeschubst. An ihrer Stelle haben sich allgemeine Irritation, Frustration und Ratlosigkeit breitgemacht.
„Über die Geduld“, eines meiner absoluten Lieblingsgedichte von R.M.Rilke wurde 2020 einmal mehr zu einer wertvollen Stütze, fast schon zu einer Art Mantra. Wir werden sie wohl noch eine ganze Weile brauchen, die Geduld. Aber auch den festen Glauben daran, dass nach einem vielleicht noch stürmischen Frühling der Sommer kommt. Garantiert.
Euch allen einen guten Jahreswechsel in ein buntes, lautes und lichterlohes 2021.
Über die Geduld
(von Rainer Maria Rilke)
Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären...
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.